Communication Power – Manuel Castells

In meinem Referat am 12.5. habe ich zum fünften Kapitel aus Manuel Castells Buch „Communication Power“ (2009) gesprochen. Im Folgenden möchte ich die Kernthesen Castells aus dem Kapitel „Reprogramming Communication Networks. Social Movements, Insurgent Politics, and the New Public Space“ kurz zusammenfassen. In dem Kapitel analysiert er soziale Bewegungen, wie sie zustandekommen und welche Rolle Kommunikation und Medien darin spielen.

Manuel Castells ist vor allem bekannt wegen seiner Trilogie über die Netzwerkgesellschaft, die beim Internetboom um die Jahrtausendwende stark rezipiert wurde. Heute ist Castells Professor an der University of California in San Diego und Emeritus an der Uni Berkeley.

Sozialer Wandel

Ausgangspunkt für Castells ist sozialer Wandel, den er als „the essence of life“ (2009: 299)  bezeichnet, d.h. sozialer Wandel ist, was eine Gesellschaft ausmacht. Wandel ist ganz normal und ein wesentliches Charakteristikum für Gesellschaften. Er unterscheidet zwischen kulturellem Wandel und politischem Wandel, die zusammen sozialen Wandel bewirken.

  • Kultureller Wandel ist eine Veränderung von Werten und Normen, der bei einer großen Zahl von Menschen eintritt, und dadurch die Gesellschaft als Ganzes erfasst.
  • Politischer Wandel ist die Institutionalisierung des kulturellen Wandels, bzw. die Annahme in die Gesetze etc., oder kurzfristiger politischer Wandel (z.B. neue Regierung).
  • Sozialer Wandel kommt durch Soziale Akteure zustande, das können Einzelpersonen sein oder auch Gruppen, Institutionen etc.

Als Soziale Akteure fasst Castellls weiterhin

  • Social Movements als Social Actors, die auf kulturellen Wandel zielen
  • Insurgent Politics als Prozesse, die auf politischen Wandel zielen
  • Social Movements sind damit langfristig angelegte soziale Bewegungen mit einem bestimmten Thema, insurgent politics zielen dagegen auf kurzfristigen politischen Wandel.

Neue IKT im Public Space

Diese Prozesse finden statt im Public Space, den Castells als einen Raum für Austausch, eine Art Forum definiert, in dem Ideen und Werte geformt und ausdiskutiert werden. Austragungsort dieser Diskurse sind die multimedialen Kommunikationsnetze. Diese sind entsprechend den herrschenden Machtstrukturen programmiert, d.h. sie sind von den Werten und Normen des Status Quo geprägt. Mit dem sozialen Wandel geht nun eine Neu-Programmierung dieser Netzwerke vonstatten.

Eine wichtige Rolle in Castells Werk spielen neue Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Mit dem Social Web und anderen neuen IKT wird eine mass self-communication ermöglicht, und so für jede/n Einzelne/n die Chancen drastisch erhöht, an den Aushandlungsprozessen im  Public Space teilzunehmen. Wichtig bleibt aber eine Kombination der horizontalen Kommunikationsnetze und der Mainstream Medien, da nur so eine wirklich breite Masse auch erreicht werden kann.

Castells Fallstudien

Diese theoretischen Annahmen wendet Castells in Fallstudien an. Er behandelt als Beispiele für soziale Bewegungen die Klimawandel-Bewegung und die Globalisierungskritiker, für insurgent politics wählt er die Rolle von Mobiltelefonen als Mobilisierungsinstrument bei  sozialen Protesten am Beispiel der spanischen Parlamentswahl 2004 und den Obama-Wahlkampf 2009.

Social Movement: Die Klimawandel-Debatte

Laut Castells ist der von Menschen verursachte Klimawandel seit etwa 1950 bekannt und langsam von einem Nischenthema, das nur Wissenschaftler interessiert hat, zu einem globalen Mega-Thema geworden. Castells geht davon aus, dass heute weltweit ein großes Bewusstsein für Klimawandel und Umweltproblematik besteht, seine These ist, dass die Erde nicht mehr als Ressourcenlieferant, sondern als Lebensraum begriffen wird. In Castells Terminologie hat damit die Soziale Bewegung eine Änderung der Werte und Normen bewirkt (kultureller Wandel), damit politischen Wandel (z.B. Kyoto-Klimaprotokoll) und als Konsequenz sozialenWandel.

Warum war die Bewegung erfolgreich?

Das Erfolgsgeheimnis der Klimawandel-Bewegung ist laut Castells die Allianz aus Wissenschaftlern, Medien, Umweltaktivisten und Prominenten, später auch Regierungen. Sie alle haben nacheinander die Debatte aufgegriffen und sie auf die ein oder andere Weise für sich instrumentalisiert. Medien springen darauf an weil es durch den Klimawandel ein Bedrohungsszenario gibt – Überschwemmungen, Trockenheit, Hungersnöte und so weiter. Regierungen sehen im Kimawandel eine Bedrohung der nationalen Sicherheit, und Prominente versprechen sich billige und einfache Publicity und einen Imagegewinn (etwa die Hybridauto-fahrenden Leonardo DiCaprio, Cameron Diaz etc.). Prominente haben eine besondere Funktion, denn sie sorgen dafür, dass das Thema in Verbindung mit Unterhaltung tritt und es so leichter zugänglich wird und breitere Bevölkerungsschichten erreicht. Prominente setzen sich darüberhinaus für Events ein, wie z.B. Live Earth, Earth Hour usw., die entsprechend medial begleitet werden und so dem Anliegen auch in den  Mainstream-Medien Gehör verschaffen.

Insurgent Politics – Mobiltelefone bei sozialen Protesten

Castells untersucht die Rolle von Mobiltelefonen in sozialen Protesten. Seine Grundlage ist, dass Ärger und Wut Triebkraft bzw. Auslöser von Aufständen und spontanen insurgent politics sind. Um zu einer Protestbewegung zu werden, braucht es aber den Zusammenschluss von vielen verärgerten Menschen, sonst bleibt jeder für sich isoliert. Eine Möglichkeit zur Vernetzung bietet dabei das Mobiltelefon. Mobiltelefonnetzwerke sind besonders geeignet, da sie „trust networks“ (Castells 2009: 348) bilden, weil der Absender einer SMS dem Empfänger in den meisten Fällen persönlich bekannt ist. So können sich SMS im Schneeballsystem exponentiell verbreiten. Heute sind Mobiltelefone laut Castells zentral bei der Mobilisierung von sozialen Protesten und ihrer Organisation.

Beispiel: Proteste in Spanien 2004 gegen die Regierung Aznar

Nach den Terroranschlägen 2004 in Madrid hat die Regierung Aznar die Schuld der baskischen Separatistenorganisation ETA in die Schuhe schieben wollen. Aznar fürchtete um die Unterstützung für seine Irakpolitik, sollte bekannt werden, dass Al Qaida für die Anschläge verantwortlich ist. Obwohl sich schnell herausstellte, dass Al Qaida tatsächlich verantwortlich ist, versuchte die Regierung deren Beteiligung zu vertuschen. Der Vertuschungsversuch und die wahren Schuldigen wurden durch Polizei und Medien aufgedeckt, der große Aufschrei in der Bevölkerung bliebt aber aus – die Menschen standen noch immer unter Schock, und es gab eine Vielzahl gezielt gestreuter gegenteiliger Berichte.

Die Proteste

Am Vortag der Wahlen (der in Spanien nicht mehr zur Wahlwerbung und für Demos genutzt werden darf) ruft ein 30-jähriger Mann per SMS zum Protest vor dem Sitz von Aznars Partei Partido Popular auf: Er sendet eine SMS an zehn Kontakte – am Ende kommen 5000 und viele andere beteiligen sich, an weiteren Demos im ganzen Land. Damit entsteht 2004 – noch vor der Geburt von Twitter und als Facebook gerade in den Kinderschuhen steckte – einer der ersten über neue IKT organisierten Proteste. Die Wahlen wurden vom Gegenkandidaten José Luis Zapatero gewonnen. Castells zitiert in seinem Band Statistiken, die belegen dass der Protest ausschlaggebend dafür war.

Kritik an Castells‘ Argumentation – Klimawandel

Castells Argumentation zur Klimawandel-Bewegung ist meines Erachtens in einer Reihe von Punkten erheblich kritikwürdig.

  • Castells behauptet, die Bewegung wäre weltweit erfolgreich und spricht stets von einer „globalen“ Einstellungsänderung – seine Beispiele sind jedoch fokussiert auf Europa und die USA.
  • Schwellenländern wie China und Indien ein großes Umweltbewusstsein zu unterstellen, grenzt an eine Farce – ist China doch eines der Länder mit den stärksten Umweltproblemen weltweit. Auch die USA taugen als Beispiel nur bedingt – die Vereinigten Staaten haben beispielsweise das Kyoto-Protokoll noch immer nicht ratifiziert.
  • Castells reflektiert das Engagement von Al Gore als Umweltaktivist in keiner Weise. Gore engagiert sich öffentlich stark für Umweltschutz, und profitiert finanziell erheblich von Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien. Dieses starke Eigeninteresse hätte Castells zumindest ansprechen müssen.
  • Castells selbst erklärt in seiner Geschichte der Klimawandel-Bewegung, dass seit 1950 die Problematik bekannt ist. Bisher gibt es keine nennenswerte Besserung – trotzdem führt er die Bewegung als erfolgreiches Social Movement an.

Literatur:

Castells, Manuel (2009): Communication power. Oxford: University Press.

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